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Fußgängerzone! Warum sollte ich hier verweilen?

Martina Sauer • Jan. 18, 2020
Es klingt so gut und muss doch gut geplant sein. Zur modernen Städteplanung, die mit dem französischen Anthropologen Marc Augé keine "Un-Orte" hervorbringen sollte.

Stadtplanung ist nicht leicht. Das zeigt auch ein akutelles Beispiel in der beschaulichen Stadt Bühl (Baden) am Rhein. Sie macht deutlich, was es alles zu beachten gilt. So veranlasst selbst die vordergründig doch so wertvoll scheinende Planung einer Fußgängerzone zu einigem Nachdenken. Der bedeutende französische Anthropologe Marc Augé liefert dazu wichtige Anregungen.


Kommentar


Was erhofft sich die Stadt Bühl, wenn sie das Campus-Areal im Verbund mit dem Platz vor dem Bürgerhaus Neuer Markt in eine Fußgängerzone umwandelt? Mehr Leben im Sinn von lebenswerter Lebendigkeit, mit mehr Vielfalt und einem Versprechen auf Begegnungen und Ruhe und Erholung?

Alles das, so lässt sich mit dem französischen Anthropologen Marc Augé festhalten, wird diese nun erweiterte Fußgängerareal nicht sein. Im Gegenteil: Wenn, wie sich abzeichnet, über das Areal die Fußgänger und vielleicht noch Radfahrer und E-Scooter ihren Weg zum Shoppingareal beim Kaufland, zu den Geschäften und zur Bank entlang der Eisenbahnstraße, in die Mediathek oder in die Schulen suchen, kommt keine Ruhe oder Muße auf. Augé bezeichnete solche Orte ohne Herz als "Un-Orte" oder „Nicht-Orte“. Sie sind geprägt durch ein Kommen und Gehen wie ein Bahnhof. Sie sind Durchgangsstation, aber keine Orte zum Verweilen. In ihnen kulminiert eine "Form der Einsamkeit", weil die fehlende Beziehung zu anderen an diesen „Orten“ besonders spürbar wird. Wird der Campus zur Fußgängerzone umgewandelt, verstärkt sich das Gefühl an einem Un-Ort zu sein, durch die Langsamkeit und die langen Wege die beim Durchgehen des Areals zum gewünschten Ziel spürbar wird. Warum sollte ich hier verweilen?

Das heißt, eine Fußgängerzone allein macht nicht schon einen Un-Ort zu einem Ort, an dem, mit Augé, "die poetische Kraft der Verführung und Identifikation" erfahren wird. Dieses Ziel lässt sich m.E. nur erreichen, wenn dort echte Bäume in einer Wiese (mit für die Region typischen Obstbäumen!?) und vielleicht ein Café entsteht. Eine Betonwüste, zu der der Campus mit dem Platz vor dem Bürgerhaus ab Herbst mit der Überbauung der letzten natürlichen Grünfläche durch eine zwei- oder dreistöckige Mensa und mit einsamen Topfpflanzen und „künstlichen“ Bäumen in Pflasteraussparungen endgültig mutiert, kann das nicht geben. Hoffen wir das Beste für eine weitsichtige Planung.



(Auch als Leserbrief - mit weniger Informationen - im Badischen Tagblatt am 21.01.2020 und den Badischen Neuesten Nachrichten in Bühl erschienen.)



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